​Klassisches Reiseziel mit „B“

Gedanken von Matthias Kneißl (MB W124-Club e.V.) zur Bremen Classic Motorshow 2016

Nein, die Rede ist nicht von den Balearen, auch nicht von den Bermudas, Bahamas, Barbados. Wenn der Winter am langatmigsten, zähesten erscheint, empfehlen wir als Reiseziel Bremen. Zumal bei akuter Benzin-Unterzuckerung, wie es in den Wintermonaten schon mal vorkommen kann. Dann eine kräftige Prise Classic Motorshow, und das Leiden klingt ab. Schnell und zuverlässig. Zu Risiken und Nebenwirkungen sprechen Sie bitte vorher mit Ihrer Gattin und prüfen Sie Ihre Spareinlagen.

Bremen also. Schon am Stadtrand fällt die überdurchschnittliche Mercedes-Dichte auf. Das Werk ist das zweitgrößte im Daimler-Verbund – das macht sich bemerkbar. Wir sehen hie und da S 124 im Straßenbild, gepflegt, aber immer noch im Alltagseinsatz. Beim der Mitfahrt im T-Modell von Cornelia und Uwe Lamperski passiert es mehr als einmal, dass an der roten Ampel ein neugieriger Blick vom nebenan wartenden neueren Daimler herüberkommt. In der Bremer DNA trägt mindestens ein Gen den Stern.
Die größte Klassikermesse ist die Bremen Classic Motorshow nicht, aber ihre subjektive Vielfalt ist von einem Charme, dem sich keiner entziehen kann, der über den eigenen Tellerrand hinausschaut. BMX-Räder, alte Zapfsäulen, Mofarocker-Kuttenaufnäher im Harley-Stil, Ersatzteile, mechanische Uhren, alte Magazine – solche mit Blech und solche mit sehr weichen Rundungen – das Parkhaus mit den quietschigen Youngtimer-Angeboten von Privat – dazu später mehr – Federhüte der Roaring Twenties für die Dame, dazwischen einer der sechs jemals gebauten, legendären C 111, ein Bitter CD, Opel Diplomat, ein W 116 in Citrusgrün und Velours Pergament, den man liebhaben muss, inka-orangene 02 und golf-gelbe E21 von BMW: die überbordenden Möglichkeiten sind ein Fest für multiple Persönlichkeiten. Passt der zweifarbige Rolls-Royce Silver Spur für 15.000 Euro nicht eigentlich ganz gut zu mir?  So ein Lanz-Bulldog hat aber auch was, vor allem, wenn der Gute keine weichgespülte Servolenkung hat. Würde sich meine Frau als Geschenk über eine Schwalbe freuen? Dazu für mich eine NSU Quickly? Passt das BMX-Rad – genau das hatte ein Grundschulfreund – für schmale 50 Euro in meinen Koffer? Alle Fragen werden innerlich mit ja beantwortet, trotzdem geht es weiter. Zum Glück.
Es ist eine Klasse für sich: das Parkhaus, mit der privaten Verkaufsausstellung. Träume, Flüche, Schimpftiraden, Tabakqualm, Flachmänner, dicke Hose: hier kommt alles zusammen. Die beiden alten Dänen etwa, die sich so rauhbeinig angranteln, dass eine Schau ist. „Jeg snakker med en autist“, ich rede mit einem Trottel, beschimpft der eine den anderen, und dieser andere kontert wie ein Rohrspatz. Es liegt nicht an dem alten Lancia Beta, den sie begutachten, sondern wiederholt sich bei jedem angebotenen Auto aufs neue. Man denkt unweigerlich an Waldorf und Statler, die kratzigen alten Männer in ihrer Loge in der Muppet Show: „Hey Fred, weißt du was?“ – „Nein, was?“ – „Ich finde, Miss Piggy sieht aus wie ein Schwein!“ – „Hahaha!“ Beim Rückgang in die Messehalle verschwindet unter dem kritischen Blick einer Hostess schnell die noch glimmende Tabakpfeife in der Manteltasche. Andere Männer – es sind vor allem Männer in Grüppchen, viele fortgeschrittene Semester – sind einfach glücklich, wie Kinder ohne Aufsicht: „Hier, den kannst du gerade so mitnehmen! Super!“ – „8.000, das ist doch kein Geld für den! Guck doch mal…“ – „Ach was, da sagt Elke nichts, was soll sie denn bei dem sagen?“ Dazu wohlig-warmes Lächeln. So einfach geht Glück.
Zurück zum Stand, Claus Kramer hält schon viel zu lange allein dort tapfer die Stellung. Hunger kommt auf, ich überlege laut, ob ich mir ein Fischbrötchen kaufen soll und sage: „Wenn ich schon einmal im Norden bin, kann ich das wohl mal gut machen.“ Claus schaut mich verständnisvoll an und antwortet nordisch-weich: „Jo, hab ich mir eben auch gedacht und eins gekauft. Auch, wenn ich ständig im Norden bin.“ Wo bekommt man eigentlich diesen trockenen Humor her, frage ich mich gutgelaunt? Claus und ich wissen es nicht.
Am Freitagabend nehmen die Kollegen vom W 123-Club Bremen mich spontan zu ihrem Stammtisch mit. Stammtischleiter Jens Frommann, dem der W 124-Club nichts weniger als seine Standpräsenz nach komplizierten Verhandlungen mit der Messe Bremen zu verdanken hat, lädt ein in seinen 240 D im begehrten zypressengrün-metallic. Der Wagen ist gepflegt, nicht verbastelt. Er wirkt seriös, wie der Fahrer. Bis zu dem Moment, an dem zwischen dem Schwiegersohntyp Frommann der Kreativrebell hervorkommt und er die markerschütternde US-Polizei-Sirene des 240ers betätigt. Jens hat ein Faible für Cops und S.W.A.T. und erzählt von seiner original US-Police-Harley Davidson, deren Sirene einmal im Bremer Tunnel zwei junge Fahranfängerinnen so erschreckt hat, dass die beiden ihn an der nächsten Ampel zusammenstauchten. Rocker würden grinsen und weiterfahren – Jens aber, ehrlich einfühlsam, hatte Verständnis mit den ärmsten. Da kommt zwischen dem schelmischen Wildfang wieder der Schwiegersohntyp hervor.
Die Bremer 123er sind ausgesprochen offenherzig und gastfreundlich, auch, wenn man „nur“ W 124 fährt. Nach dem Warmquatschen beim Stammtisch gibt es eine kleine offizielle Runde, moderiert von Jens, in der jeder einen Wortbeitrag beisteuern kann. Dann ist es mucksmäuschenstill am Tisch, alle anderen hören respektvoll zu. Eine Leistung, bei rund 20 Teilnehmern, nach einem Arbeitstag, und eine tolle Kultur! Der Fremde wird bald gefragt, was ihn zum Bremer W 123-Stammtisch verschlagen hätte. Meine Antwort, ich arbeite bei einem Autohaus für japanische Neuwagen, von denen Jens so begeistert sei, dass er sie mich der Runde hier mal vorstellen lassen wollte, schlägt ein wie das „Nein“ der Braut vorm Traualtar: ungläubiges Schweigen. Betretenheit. „Das stimmt nicht!“, protestiert Jens und ich kann das Lachen nicht mehr zurückhalten. Vielen Dank, lieber W 123-Club Bremen, für den schönen Abend.
Mit toller Stimmung kann der W 124-Club aber auch aufwarten: die Gemeinschaft am Stand ist eine Wucht! Ob Cornelia und Uwe, die am Samstag Kuchen für alle mitbringen, oder Neumitglied Jan Eschenhagen, der, kaum beigetreten, schon Standdienst anbietet und echte Hamburger Franzbrötchen beisteuert, Karl-August Almstadt, der seinen wunderbar restaurierten, impala-metallic-farbenen S 124 als Exponat hergibt – auch dafür ein großes Dankeschön! – oder Thomas Alber vom ADAC, der uns am Stand besucht und anbietet, das Jahrestreffen in Sachsen weiter zu unterstützen.
Beiläufig kommt heraus, dass Claus Kramers Garage lang genug für einen Maybach 62 ist. Prahlerei ist ihm eine Plage, das merkt man, aber trotzdem schaffe ich es peu-à-peu, ihm die ganze Story zu entlocken, auch dank Stichwortgeber Uwe Lamperski. Vor ein paar Jahren bestellte ein Scheich zwei Maybach, die Version 62 war ihm immer noch zu kurz, also ließ er sie verlängern und das ganze von einem italienischen Firma panzern – was bei Maybach ab Werk nicht zu haben war. Danach passte bei dem verlängerten und wieder zusammengefügten Auto die Bordelektrik nicht mehr. Maybach wollte damit nichts mehr zu tun haben – zu wenig Originalität, zu stark verbastelt, sorry. Die italienische Panzerung-Firma fragte bei einer Konkurrenzfirma in Deutschland um Rat. Glücklicherweise wusste dieser norddeutsche Panzerer einen mit derlei Schwierigkeiten vertrauten Kfz-Elektrikermeister – wenn einer bei übel verhunzter Bordelektrik noch helfen konnte, dann der. Und das war Claus Kramer.
Die kapriziöse Bordelektrik neu zu konfigurieren war mühsam und zeitaufwendig. „Dafür brauche ich Ruhe“, merkte Claus schnell und nahm den Wagen kurzerhand mit nach Hause. So stand eines der teuersten Autos der Welt ein paar Abende in der gerade ausreichend langen Garage eines ganz normalen Lilienthaler Einfamilienhauses. Die Geschichte in allen Details zu erzählen würde diesen Rahmen sprengen – aber sie hat es in sich!
Wieder am Flughafen, auf dem Rückweg nach München, künden Bilder von Palmen und Strand von fernen Reisezielen. Wärme strahlen sie aus. Und Glück. Allein, das Glück von Bremen im Februar, das können sie nicht bieten.
Autor: Matthias Kneißl