… hast alles richtig gemacht !

Horst

Zwar war mein erstes Auto ein W115, ein Strichachter (/8), 240D mit 65 PS, aus dem letzten Produktionsjahr (1976), aber das Fahren habe ich eigentlich auf einem W123 240D von meinem Vater gelernt.

Wir, mein Zwillingsbruder und ich, waren damals ca. 10-12 Jahre alt und saßen hinter dem Lenkrad auf Papa`s Schoß und durften lenken, wenn er zu seiner Hobby-Landwirtschaft in die ländliche Einöde fuhr. Diese unendliche Vorfreude und das riesige Vergnügen, wenn die letzten ca. 2 Kilometer der sehr verlassenen Strecke anbrachen. Denn dann war unsere Zeit gekommen und einer von uns durfte die Hinfahrt und der andere durfte die Rückfahrt bestreiten. Mein Vater, der mit Vornamen Jan heißt, besaß damals einen weißen W123 240D (65 PS) mit blauer Innenausstattung.

Etwas später und nach sehr langer Lieferzeit wurde meinem Vater dann sein nagelneuer W123 240D mit stolzen 72 PS in der Farbe signalrot (!) mit schwarzer Innenausstattung von der Mercedes–Niederlassung Emden übergeben. Mit diesem Wagen haben wir dann das eigentliche Fahren gelernt. Denn im Alter von ungefähr 12-14 Jahren waren wir groß genug gewachsen, um auch an die Pedale zu kommen. Jetzt saßen wir, ohne Papa als Sitzschale, auf dem Fahrersitz. Erst durften wir nur im ersten und zweiten Gang fahren und nach einigen „Fahreinheiten“ sogar bis in den dritten Gang beschleunigen. Aus der heutigen Sicht sind wir damals keine Höchstgeschwindigkeiten gefahren, aber darauf kam es auch nicht an. Ich bin meinem Vater so dankbar dafür !

Irgendwann bin ich dann in das Alter gekommen, wo mich Oldtimer immer mehr faszinierten. Viele Faktoren spielen dabei eine Rolle. Mich begeistert die einfache, solide und vor allem haltbare Technik, die in der damaligen Zeit ersonnen wurde. Ebenso die stilistische Formgebung mit hohem Erkennungswert. Die aktuelle Formensprache der heutigen Fahrzeuge finde ich nicht gelungen, denn irgendwie sehen alle Fahrzeuge annähernd gleich aus und Plastik glänzt halt nicht wie Chrom. Überdies hat man sehr schnell ein „altes“ Modell, denn der Zeitabschnitt zum nächsten Facelift ist mittlerweile sehr kurz geworden. Ferner verfügen aktuelle Fahrzeuge über diverse elektronische Bevormundungen, die mich einfach nur aufregen. Schlichte Weisheit: wer die Spur nicht halten kann, der sollte nicht Autofahren (z. B. angetrunkene Fahrer, Handynutzer, …)

Aufgrund familiärer Prägung gilt mein Oldtimerinteresse nur für Modelle von Mercedes und dabei auch nur diejenigen, die für den Normalverdiener erschwinglich sind, also die damaligen Massenmodelle. In meinem Fokus standen dabei zwei Baureihen von Mercedes. Ein W115, weil es mein erstes Auto war oder ein W123, weil ich darauf das Fahren gelernt habe. Außerdem war mir wichtig, dass es ein Diesel ist und es kam nichts anderes als ein 240D in Frage. Sentimental – ich weiß – die gute alte Zeit und dieser unbeschreiblich schöne, nagelnde Klang.

Im Jahr 2012 bin ich dann, auf der Messe BMC (Bremen Motor Classic), auf den Bremer Stammtisch des W123-Club e.V. aufmerksam geworden und sofort Mitglied geworden, obwohl ich noch gar keinen W123 besaß. Nach eineinhalbjähriger Suche und vielen erfolglosen Besichtigungen (Tipp: die Bilder und Angaben der Verkäufer im Internet sind mit großer Vorsicht zu genießen !) bin ich dann Ende 2012 endlich fündig geworden.

In einem kleinen Ort namens Compiègne, ca. 80 Km von Paris entfernt, stand mein Schätzchen. Ein W123 240D aus August 1984. Für mich ein Volltreffer, denn ich bin ein Freund der letzten Serie. Allerdings war die Entfernung (ca. 700 Km) von zu Hause doch sehr groß, um sich den Wagen schnell mal anzusehen. Jedoch hat mich der Wagen sofort fasziniert. Also habe ich den Verkäufer kontaktiert, Überführungskennzeichen besorgt und zusammen mit meiner Lebensgefährtin in die Nähe von Paris gefahren.

Bei der Besichtigung war es dann, wie so oft. Die anfängliche Euphorie wurde durch erhebliche Nachteile am Wagen etwas gedämpft. Milde ausgedrückt war der Pflegezustand des Wagens

unter aller Sau. Kleine Dellen im Blechkleid (Motorhaube, Kotflügel), „Knitterlack“ an beiden Türen auf der Fahrerseite, ein verlebter Innenraum und ein nur widerwillig startender Motor (aufgrund von 2 defekten Glühkerzen, wie sich später herausstellte) wären normalerweise alles
KO–Kriterien gewesen. Darauf angesprochen zuckte der französische Verkäufer mit den Schultern und sagte „ bei Euch Deutschen ist ein Auto ein Familienmitglied, in Frankreich ist es nur ein Auto ! “ Es hatte eine Art von Situationskomik.

Meine Faszination für den Wagen war zwar angekratzt, aber noch nicht völlig verflogen. Denn es gab auch Vorteile: kein Rost, wenig Laufleistung, eine zeitlose Farbkombination (außen: Code 930 silberblau-met., innen: Code 052 Stoff blau) und eine relativ reichhaltige Ausstattung. Dies alles verleiht dem Wagen einen sehr wertigen Eindruck, denn ich war noch nie ein Freund der nackten Beamtenkarre, obwohl solche Fahrzeuge auch ihre Fans haben.
Ein ganz spezielles Extra hat der Wagen auch noch. Ein damals sehr teures und daher sehr selten gewähltes 5-Gang-Getriebe in einem 240D. Das ist wie der berühmte 6er im Lotto oder die blaue Mauritius, aufgrund der Farbe des Wagens.

Nach Abwägung der Vor- und Nachteile, einer Probefahrt und zähen Preisverhandlungen sind wir uns endlich einig geworden. Vorsichtshalber noch den Ölstand kontrolliert und der Rückfahrt nach Deutschland stand nichts mehr im Wege. Nach den ersten ca. 300 Km, an einer Tankstelle in Belgien, zur Sicherheit nochmals den Ölstand kontrolliert (kein Ölverbrauch erkennbar). Weiter ging es Richtung Heimat. Während der Fahrt habe ich festgestellt, dass die Tankanzeige immer ½ anzeigt und der Scheibenwischer sich weigerte im Intervall zu wischen. Somit zwei weitere Baustellen gefunden, die es zu beheben galt.

Nachdem die Heimfahrt gemeistert war, begannen die Arbeiten. Neben dem Selbstverständlichem (Austausch aller Flüssigkeiten und Filter sowie einer Hohlraumkonservierung) habe ich vieles, was Verschleißerscheinungen aufwies, durch Neuteile ersetzt. Die Polster wurden erneuert, weil die Sitzwange an der Fahrerlehne durchgescheuert war. Auch habe ich alle Schalter im Innenraum (z. B. Blinkerhebel, Schaltknauf, Schalter in der Mittelkonsole) erneuert, weil ich das Abgegrabbelte – einige nennen es „Patina“ – nicht mag.

Einige Extras und spezielle Feinheiten möchte ich hier gerne erwähnen. Ein Tempomat leistet zuverlässige Dienste und eine Dämm-Matte an der Motorhaube minimiert das Geräuschniveau.
Das Navigationssystem wurde fest in das Handschuhfach integriert. Besonders bei historischen Fahrzeugen finde ich es sehr schrecklich, wenn an der Windschutzscheibe mobile Navis mit Saugnapf-Halterungen angebracht sind und überdies weckt es nur Begehrlichkeiten (z. B. Diebstahl / Beschädigungen), die ich vermeiden möchte.

Damit bei Nachtfahrten die Beleuchtung des Handschuhfachs nicht stört, wurde diese mit einem separaten Schalter versehen. Es wurden auch zwei 12V-Steckdosen im Handschuhfach untergebracht, damit eine Stromzufuhr zum Navi und zu weiteren Geräten (z. B. Handy) vorhanden ist. Eine 12V-Steckdose ist schaltbar, weil diese unter Dauerstrom steht. Die zweite 12V-Steckdose ist nur bei eingeschalteter Zündung aktiv.

Ebenso wie im Handschuhfach sind auch im Kofferraum zwei 12V-Steckdosen eingebaut worden. Davon auch 1 x 12V-Steckdose (Dauerstrom, schaltbar) und 1 x 12V-Steckdose über Zündung geschaltet.

Nice to have sind die elektrische Motorvorwärmung, der Drehzahlmesser, die verstärkte Lichtmaschine, die Batterie mit größerer Kapazität, die Mehrton-Fanfare (Vierton) und die schaltbaren Stromversorgungen zum Innenspiegel / zur Heckscheibe für die Dash-Cams. Sowie die Positions-Beleuchtung in den vorderen Blinkern und den US-Rücklichtern, ohne Aktivität des Standlichts und der Kennzeichenbeleuchtung.

Last but not least möchte ich noch meine LED-Boden-Beleuchtungen erwähnen, die ich bereits beim 2015-Jahrestreffen in Menden präsentiert habe. Ich finde, dass das blau/weiße Licht des MB-Logo „Lorbeerkranz“ gut zur Außenfarbe (Code 930 silberblau-met.) meines W123 passt.

Neben den werksseitig verbauten Extras habe ich meinem W123 viele weitere (sinnige sowie auch unsinnige) Extras spendiert, siehe angehängte Ausstattungsliste.
Mein Wagen ist somit nicht der originalste, ex-französische W123, aber die vorgenommenen Veränderungen müssen schließlich nur mir gefallen.

Neben dem Kaufpreis habe ich viel Geld, vielleicht auch zuviel Geld (Aussage meiner Lebensgefährtin), in den Wagen gesteckt. Dabei habe ich die übliche Empfehlung aus der Literatur von ca. 30-50 % des Kaufpreises deutlich überschritten. Mittlerweile habe ich den Kaufpreis vervielfältigt.

Festzuhalten ist aber, dass der Wagen heute noch zeitgemäß ist. Denn der Verbrauch ist wirklich gering. Im Normalbetrieb verbraucht der Wagen 6,3 – 7,2 l/100Km. Dabei ist dann Stadt-, Land- und Autobahnverkehr (bei 130 Km/h) enthalten. Es wird normal, zügig gefahren nicht im Super–Schon bzw. Behinderungsbetrieb. Komischerweise wollen mir einige der Stammtischler des W123-Club-Bremen dies nicht glauben, denn mit 4-Gang-Getriebe sind die Verbräuche bei normaler Fahrweise doch etwa 1-2 l/100Km höher. Einen Verbrauchsrekord mit Nutzung der rückwärtigen Vorfahrt (also: Stau hinter mir und Fliegenresten auf der Heckscheibe) habe ich auch mal ausprobiert. Ein Verbrauch von nur 5,6 l/100Km war erreichbar, allerdings lagen dabei meine und die Nerven der anderen Verkehrsteilnehmer blank.

Nachdem ich meinen Wagen von der ursprünglichen Reifen-Felgenkombination 195/70-R14 auf 205/65-R15 umgerüstet habe liegt der Verbrauch bei ca. 7,8 – 8,5 l/100Km. Aber die Optik gefällt mir einfach viel besser, wenn der Radkasten mehr ausgefüllt ist.

Ich möchte mich bei allen bedanken, die mir bei der Verwirklichung meines W123–Traums geholfen haben. Ganz besonderer Dank gilt aber meiner Lebensgefährtin Imke. Sie hat eine ereignisreiche Tour in die französische Provinz und noch mehr Ereignisse bis zur Fertigstellung meines W123–Traums erlebt.

Als Reminiszenz an meinen Vater habe ich meinen W123 auf den Namen „Jan“ getauft und mittlerweile habe ich mehrere zehntausend Kilometer mit Ihm zurückgelegt. Jan wird permanent genutzt, denn er ist zum Fahren gemacht und nicht zum Stehen. Oftmals werde ich auf Jan angesprochen, z. B. an der Tanke oder auf einem Supermarktparkplatz. Mir wurde auch schon ein fünfstelliger Eurobetrag geboten, den ich aber dankend abgelehnt habe, denn Jan ist nicht zu verkaufen.

Das bisher beste Erlebnis hatte ich an einer Tankstelle. Nach dem Tanken ging ich in das Kassenhäuschen und wollte bezahlen. Ein Herr mit (astral-)silbernen Haar, der schätzungs-weise 60-65 Jahre alt war, sprach mich an und fragte „ …ist das Deiner ? “ Nachdem ich seine Frage bejahte klopfte er mir auf die Schulter und sagte „ …hast alles richtig gemacht ! “

Solche Dinge bleiben einfach in Erinnerung und es ist mir klar dass ich einfach einen tollen W123 habe – Danke Jan !

PS:
Immer wieder habe ich es mir vorgenommen einen Artikel für das Club-Magazin zu schreiben. Überdies hatte ich das Problem, dass ich kein Bildmaterial für einen Artikel erstellen konnte. Freundlicherweise hat mir dabei Stammtischleiter Jens Frommann vom W123-Club Region Bremen sehr geholfen und tolle Fotos von Jan gemacht. Vielen Dank dafür !

Ich möchte hier die Gelegenheit nutzen und alle bitten sich aufzuraffen. Schreibt einen Artikel, macht Fotos über den Kauf, die Veredelung, Reparaturen, besondere Erlebnisse, Urlaube usw., damit das Club-Magazin schöne Artikel rund um den W123 hat. Das Club-Magazin lebt vom Mitmachen !